Digitale Grafiken

Der Biss
Der Biss

››Erstaunt darf man sein, ...

...die digitalen Grafiken zu sehen, die Reiner Maria Borchard mit einem einfachen Computerprogramm (›Pages‹) erstellt hat – Bilder von Fratzen, kugelnden Augen, Tieren und Bauten, von Stürzen und Reverenzen, in schillernden farbigen Kontrasten, in der Zeit der Corona Pandemie entstanden und teilweise entsprechend betitelt. Es sind phantastisch verrückte Bilder, die in starker Expressivität durch die Freiheit der Hand vor den Blick geführt werden und aus einer ganz vom Licht der Fotografie und perspektivischer Strenge unbeschwerten Amalgamierung von Comics sowie Werken von Künstlern wie Adami oder Raymond Pettibon hervorgehen. Die Bilder beeindrucken in ihren spielerischen Kompositionen, ob mit Viren wie tanzenden Seerobben, gestelzten Räumen oder Zwiebeln entwachsenen Leibern. Sie jubilieren auch aus Sorge, doch schwingt in allen Bildern die leichte Hand und ein großes Geschick der Komposition, das Abstraktion mit Figur, Konstruktivismus mit Ironie zu vereinen versteht. Während der fotografische Blick nach Außen geht, wirkt hier die Hand wie nach Innen gewandt um Gedanken, Befürchtungen, Träume, Aufzeichnungen die Tage entlang mittels eines digitalen Programms dann analog zu Papier zu bringen. Die Digitalität hier stellt wahrlich nur das Medium, das den Finger oder Stift leicht über das Glas gleiten lässt, anders gewiss als eine Gouache, ein Aquarell oder ein Siebdruck, in der Textur doch in wunderbarer Frische und starker Farbigkeit führen die Bilder von der Berechnung in die Singularität des Ausdrucks.‹‹

Hubertus von Amelunxen, Berlin, im August 2020

Rollentausch
Der Abhängige
Corona – In einem Boot
Zwiebelgeboren

Fragen und Antworten zur ›Digitalen Grafik‹

Vor 14 Jahren – 2006 – hatte ich mit dem Katalog »Rückblende« nach meiner Lehrtätigkeit an der Muthesius Kunsthochschule einen ersten Rückblick auf mein fotografisches Leben gewagt und dokumentiert. Heute möchte ich immer noch nicht die irgendwann übliche Retrospektive starten, sondern mein Anfang des Jahres neu entdecktes Medium Digitalgrafik der Stadt- und Landschaftsfotografie, die ich über 40 Jahre gepflegt habe, entgegensetzen.

 

Wie kam es dazu, dass Du nach so vielen Jahren der intensiven Beschäftigung mit der Fotografie zusätzlich mit einem neuen Medium zu arbeiten begonnen hast?

Parallel zur Fotografie habe ich schon immer gezeichnet und gemalt, aber ohne die Ergebnisse zu veröffentlichen. Zeichnen und Malen diente mehr dazu, Situationen, Gedanken und Gefühle in offenen Kompositionen darzustellen – gewissermaßen als Tagebuch. Als ich 2019 dann mein 16. und 17. Buch, also gleich zwei Bildbände, herausgebracht hatte, wollte ich 2020 kein neues Buch beginnen.
Jetzt wurden meine Tagebuchaufzeichnungen wichtig und ich versuchte, die Andeutungen meiner Aufzeichnungen mit technischen Medien neu zu fassen.

Mit welchen Programmen hast Du da begonnen?

Ich habe ›Pages‹ gewählt, das eigentlich ein Schreibprogramm ist und daher nicht alle erforderlichen Werkzeuge bietet, um ganz naturalistisch zeichnen zu können. Es fehlt zum Beispiel ein Werkzeug, das Verläufe darstellen kann, so dass die Ergebnisse sehr flächig wirken, wie bei der Siebdrucktechnik. Diese Reduzierung empfinde ich aber nicht als Nachteil, sondern als Vorteil, da sie mich auffordert, die Themen und Motive einfach zu realisieren.

Wie muss ich mir das Arbeiten mit ›Pages‹ vorstellen?

Ich male mit den Werkzeugen, die mir das Programm vorgibt. Statt Papier oder Leinwand habe ich auf meinem Ipad eine leere Fläche als Quer- oder Hochformat zur Verfügung. Mit dem Pencil kann ich wie mit dem Bleistift unterschiedliche Strukturen oder Formen darstellen. 120 vorgegebene Farben lassen sich durch Überlagerung beliebig vervielfachen, sodass neben der Schwarzweiß- auch die Farbdarstellung möglich ist.

Das ist ja alles wie bei der Malerei, aber wo sind die Vorteile für Dich?

Ein grundsätzlicher Vorteil ist die technische Reproduzierbarkeit. Es gibt also kein Original und ich kann von den Ergebnissen meiner Endprodukte unendlich viele gleichwertige Drucke erstellen. Für mich liegen die Vorteile aber vorrangig im Prozess. Ich kann meine Vorstellung schnell auf die Fläche bringen und habe dabei die Möglichkeit, durch schrittweises Vorgehen – durch Erhalten oder Verwerfen – zum erwarteten Ziel zu gelangen.
Bezogen auf Thema oder Inhalt der Darstellungen gibt es keine Vor- oder Nachteile. Der Künstler muss auch bei der Digitalen Grafik die Inhalte und Gesetze der Gestaltung selbst finden und festlegen.

Hat Dein Entschluss erst einmal nicht zu fotografieren, sondern mit dem iPad und dem Computer zu arbeiten, auch etwas mit der Corona-Krise zu tun?

Meine Beschäftigung mit dem neuen Medium fiel tatsächlich mit dem Aufkommen der Pandemie zusammen.
Als in Schleswig-Holstein der »Lockdown« Mitte März einsetzte und die Regeln Abstandhalten u.s.w. eingeführt wurden, habe ich die Zeit in selbstgewählter Quarantäne genutzt, sodass ich mich dem neuen Medium fast ausschließlich widmen konnte. Die schrecklichen Ereignisse in der ganzen Welt haben einen Teil meiner Arbeit beeinflußt.

Wie unterscheidet sich Deine Fotografie von der Digitalen Grafik?

Meine Stadt- und Landschaftsfotografie folgt den Grundprinzipien der klassischen Komposition. Dabei bin ich auf das Vorhandensein der Realität angewiesen. Es geht immer um das Finden des richtigen Bildes (Ort, Zeitpunkt, Wetter). Man muss sozusagen die Natur in Form bringen. Digitale Grafik ist bezogen auf die Inhalte ebenso frei wie die Malerei.
Die neue Technik veranlasste mich, sehr experimentell und subjektiv zu arbeiten. Es kann vorkommen, dass selbst ein am Anfang gesetztes Thema sich bei der Arbeit verliert oder sich entscheidend verändert.

 

 

 

Viren spielen im Raum
Am Strand
Zitronenschale
Die Passage
Begrüßung